Rumpy - der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Verhalten

DanielaJ

Retterin in der Not
#1
Ich habe Rumpy (Schäferhund-Bordercollie-Mix) als 1,5jährigen, unkastrierten, schlecht sozialisierten und unerzogenen Grünschnabel kennengelernt.
Aufgeschlossen und extrovertiert im Umgang mit Menschen, zeigte er von Anfang an eine starke Ablehnung gegenüber anderen Hunden.
Er suchte sie sich teilweise in große Entfernung, stürmte hin und los ging der Tanz. Löcher im Pelz/Haut des anderen waren damals an der Tagesordnung.

Da er der Hund meines damaligen Lebensgefährten war, dieser ihn immer mit bei der Arbeit hatte und auch sonst das Zepter in Sachen Hund an sich riss, änderte sich an dem Zustand nichts für die nächsten 2 Jahre.
Dann stand die Überlegung im Raum, in die USA (zurück)zu ziehen und es wurde beschlossen: mein damaliger LG geht vor, Hund und ich kommen nach, sobald er Fuß gefasst hat.
Mit diesem Entschluss im Rücken konnte ich endlich meine Forderung durchsetzen, mit dem Hund gezielt arbeiten zu dürfen. Schließlich war es auch in den Augen meines Ex nicht tragbar, dass ich unerfahrenes Ding mit seinem heißgeliebten Vierbeiner durch die Gegend stolpere…wobei dieser ja absolut unproblematisch sei, einfach nur ein bisschen aufgeweckt…ein bisschen hyperaktiv vielleicht…. war er ja aber schon von Welpenbeinen an (wurde als letzter vermittelt, da die aufgedrehte Nuss keiner haben wollte).

Ich besuchte also meine erste „Hundeschule“ in Form des örtlichen Schäferhundvereins. Dort erkannte man gleich die überaus dominante, rüpelhafte Ader meines Vierbeiners und versprach fachkundige Hilfe. Rumpy bekam einen Kettenwürger umgelegt und ich wurde angehalten, jedes Mal ordentlich zu rucken, wenn er Aufmucken würde. Das würde ihn schon eines besseren belehren….
Tat es nicht. Im Gegenteil, er zeigte sich von jeglicher Einwirkung gänzlich unbeeindruckt, wenn er beim Anblick von Artgenossen denn mal in der Leine stand und tobte. Selbst als er von dem überaus erfahrenen Instrukteur kurzerhand am Kettenwürger in die Luft gehoben wurde und kaum noch mit den Hinterpfoten den Boden berührte, gab er auf.
Ich allerdings schon, denn diese Vorgehensweise ließ sich mitnichten mit meiner Weltvorstellung in Einklang bringen, Anfänger in Sachen Hundeerziehung hin oder her.

Ich suchte also im Internet nach einer anderen Hundeschule und wurde schnell fündig. Nach wenigen Tagen schon hatte ich die erste Stunde und erfuhr zum ersten Mal von Dingen wie „positive Verstärkung“, „Clickertraining“ – aber eben auch, dass Rumpy primär aus Unsicherheit heraus agierte. In einem Gruppenkurs lernte ich, ihm eine gute Grunderziehung beizubringen, Körpersprache der Hunde zu lesen und wie ich meine eigene Körpersprache ideal einsetzen konnte. Später kam noch Clickertraining dazu und ich war eigentlich gewappnet für alles, was kommen möge….

….dachte ich….

Doch schnell wurde meine Illusion zerstört. Egal, wie intensiv ich trainierte, Rumpy blieb irgendwie immer einen Tick zu hyperaktiv, neigte immer wieder in meinen Augen Grundlos zu Extremreaktionen jeglicher Art. Zunehmend stellte sich auch eine Geräuschempfindlichkeit ein, er bekam auf einmal Ängste in Situationen, denen er kurz zuvor noch recht gelassen begegnet war.
Als er eines Tages nicht mehr aus dem Auto sprang, nachdem eine Katze dran vorbei gelaufen war (sie war NICHT schwarz!) und einen Vogel im Busch neben ihm als Vorbote einer wilden, gefahrbringenden und sich sicherlich im rasenden Tempo nähernden Elefanten-Stampede ansah („nur weg hier!!!!“), musste etwas geschehen.

Ich ging zur damaligen Zeit öfters mit einer Freundin und deren Hündin spazieren, bei der gut 1,5 Jahre zuvor eine Krankheit diagnostiziert wurde, die sich „Subklinische Schilddrüsenunterfunktion“ nennt. Die meisten Leute kennen eine klinische SDU, bei der der Hund zunehmend lethargischer wird, an Gewicht zunimmt und andere klar erkennbaren Symptome zeigt. Die Blutergebnisse dieser Tiere bringen in der Regel Schilddrüsenwerte hervor, die unter der Referenzwerte-Spanne liegt.
Bei der subklinischen Schilddrüsenunterfunktion jedoch sind die Werte noch innerhalb dieser Wertespanne, wenn auch recht niedrig. Während die Hunde häufig keine oder nur wenige klinische Symptome zeigen, kann es in diesem Fall jedoch passieren, dass sie starke Verhaltensänderungen aufweisen, wie sie mitunter einer SchilddrüsenÜBERfunktion zugeschrieben werden.
Je öfter ich mich mit der Freundin über deren Hündin unterhielt, desto stärker fielen mir die Parallelen zu Rumpy auf. Dieselbe Streßintoleranz, die Neigung zu Spontanreaktionen in übertriebener Form, etc…. Ich beschloss, Rumpy auf seine Schilddrüsenwerte hin testen zu lassen.

Ich erspare Euch nun die Details des Dramas, das ich erleben durfte, bis eine eindeutige Diagnose feststand. :)
Fakt war am Ende jedoch: Rumpy hatte tatsächlich ein Schilddrüsenproblem, seine Werte waren fast alle im subklinischen Bereich.

Wir begannen umgehend damit, ihm die benötigten Medikamente zu geben und siehe da – innerhalb kurzer Zeit konnte ich positive Veränderungen an ihm feststellen.
Zwar ist die Grundproblematik seines Verhaltens nach wie vor vorhanden. Allerdings ist er heutzutage dank der Hormongabe schneller oder überhaupt erst ansprechbar, was ein Training bzw. eine Verhaltensumlenkung überhaupt erst machbar macht.

Als wir so weit waren, dass ich wieder gezielt mit ihm arbeiten konnte, begannen wir, seine Probleme nach und nach anzugehen.

Artgenossen/Leinenaggression

Rumpy hatte zu Anfang des Trainings keine Hemmungen, Hunde in gut 150m Entfernung auszumachen, hinzustürmen, diese umzurennen und bei Bedarf, sollte der „Gegner“ es impertinenterweise wagen zu widersprechen, zu piercen. War er an der Leine, reichte diese Entfernung aus, um ihn auf den Hinterbeinen stehend am Ende der Leine herumhüpfen zu haben.

Ich begann, die Distanz zu anderen Hunden erst mal so groß zu halten, dass er zwar Interesse an ihnen zeigte, aber noch ruhig blieb bzw. ganz klare Deeskalationssignale aussandte. Und dafür gab es dann eine Belohnung.
Da er netterweise guter Fleischwurst nicht widerstehen konnte und dafür so gut wie alles tat, konnten wir auf diese Weise tatsächlich nach und nach die Distanz zu Artgenossen verringern, bis wir am Ende im Abstand von ca. 3-5m an anderen Hunden vorbeikamen und diese nur interessiert/gespannt beäugt wurden.
Kamen sie im Freilauf schnurstracks auf ihn zugestürmt und beachteten sein Getue nicht, so kam es zumindest mit Hündinnen am Ende zu Spielaktionen, bei Rüden jedoch nur sehr vereinzelt und auch nur, wenn diese ein unglaublich gut ausgeprägtes Sozialverhalten hatten und ihm jederzeit signalisieren konnten, das gar kein Grund für Aufregung bestand.

Nachdem jedoch immer mal wieder einige „Dertutnixe“ in uns reingerasselt waren und dann leider doch etwas taten, sind wir nun wieder an einem Punkt angelangt, an dem er an guten Tagen auf eine Distanz von 15m recht ruhig bleiben kann. Ansonsten schwankt es zwischen 15-30m.

Mit Hündinnen hat er in der Regel jedoch generell kein Problem mehr.

Eine große Hilfe bei seiner „Resozialisierung“ war auch die Tatsache, dass er aufgrund meines Strohwitwen-Dauerdaseins und meiner Vollzeit-Berufstätigkeit damals tagsüber in eine Hundepension mit Gruppenhaltung kam. Dort war sein Problem bekannt und man begann, ihn behutsam mit idealen Kandidatinnen zu vergesellschaften. Interessanterweise waren das fast ausnahmslos Damen des ach so verschrienen Typs „Bullie“ – deren Toleranzschwelle gegenüber Pöbeleien und Rempeleien war einfach höher als die der sensibleren Kandidaten. Seitdem steht er auf diesen Damentyp und dient im Moment auch als Trainingspartner für eine Kandidatin, die nun ähnliche Defizite im Umgang mit anderen aufweist wie er zu anfangs.

Streß

Rumpy ist ein Streßkandidat. Egal was es ist, ruft eine Situation bei einem normalen Hund lediglich ein „Ach, wie nett….“ hervor, kommt von ihm ein „JAWOLL, JAHAAA!“ – und es kann etwas dauern, bis sich das wieder gibt.
Sind es Situationen, in denen andere denken „Hm…… so ganz koscher ist mir das nicht“, kommt von ihm „OH MEIN GOTT! HILFE! RUFT DIE POLIZEI/DIE FEUERWEHR/DEN NOTARZT!“. Und er hat den Rest des Tages Durchfall.

Er winselt gleichermaßen vor Freude, wie auch aus Wut, Angst oder Unsicherheit – je nach Situation jedoch ähnelt dieses „Winseln“ eher einem lauten Kreischen, so dass Passanten immer denken, ich würde den armen Hund prügeln…..

In solchen Momenten kann er nun dank der Hormongabe für seine Schilddrüse wenigstens trotz aller Aufregung noch Signale von mir annehmen.
In der Regel versuche ich, ihn aus diesen Extremreaktionen rauszuholen, indem ich ihn aus der Situation entferne (z.B. mit ihm ein paar Schritte weggehe) oder aber ein Alternativverhalten „abfrage“, mit dem er etwas von seinem Energieüberschuss ablassen kann. Leckerchensuchspielchen draußen bei aufregenden Begegnungen ist so eine Aktion. Oder einfach nur ruhig bei Fuß gehen lassen, wenn er ansonsten wild in der Gegend rumhüpft (das geht jedoch immer nur ein paar Meter – sonst wird es für ihn wieder stressig und er würde sich einfach wieder hochfahren).

Die Streßintoleranz macht sich auch beim Lernverhalten bemerkbar. Er ist immer nur begrenzt aufnahme- und konzentrationsfähig. Übungen müssen in viele kleine Einzelschritte unterteilt werden, damit er sie meistern kann. Allerdings ist er aufgrund seiner hohen Intelligenz mit einer enormen Auffassungsgabe ausgestattet, was das wieder wettmacht.

Druck verträgt er genauso wenig wie Frustration.
Erziehungsansätze, die dazu führen, dass sein unerwünschtes Verhalten einfach nur unterdrückt wird (einfache Abbruchsignale, ohne Alternativverhalten anzubieten/aufzuzeigen), stressen (das passiert übrigens in mehr oder weniger starkem Umfang jedem Hund).
Wird das Abbruchsignal auch noch mit Druck/Zwang eingefordert, kann es passieren, dass er im ersten Moment kuscht, dann aber gleich einen Dampfablasser benötigt, um seine angestaute Energie/den angestauten Frust wieder ablassen zu können. Im Zweifelsfall kann das bedeuten, dass er unsere Katzen packt (ohne Verletzung, er wird dann einfach zu einer Art autistischem Hüter, zusammentreiben und „maßregeln“), einen Hund über den Haufen rennt (kann auch einer aus dem Rudel sein) oder einfach „nur“ wild in der Gegend herumspringt, bis er sich abreagiert hat.
Aus diesem Grund wird er eigentlich primär über den Clicker erzogen bzw. über positive Bestärkung. Somit können viele Problemsituationen im Vorfeld abgefangen werden und er lernt zudem, selbst Alternativstrategien zu seinem Gefühlschaos mit „Ausbruchsgefahr“ entwickeln, anstatt immer nur auf eine Ansage von uns zu warten.

------------------------------------

Rumpy wird nie ein vollkommen ausgeglichener Kandidat sein. Aber für seine Verhältnisse ist er heute sehr stabil. Es war ein langer Weg, der zum heutigen Ergebnis führte und so wie wir sind ihn schon viele gegangen, deren Vierbeiner unter einer subklinischen SDU leidet.
Von diesen Hundehaltern hört man häufig, dass sie sich vor der Diagnose den Wolf trainiert haben und trotzdem kaum oder aber eben keine Fortschritte sehen. Erst mit Hilfe der Therapie ist es dann möglich, überhaupt effektiv mit dem Hund und an dessen Problemverhalten arbeiten zu können.

Rumpys Beispiel soll zeigen, wie eng Verhalten und Gesundheit zusammenhängen können und das bei Hunden, die Extremverhalten zeigen und sich trotz intensiver Bemühungen keine Besserung einstellt, auch organische Ursachen mit in Betracht gezogen werden müssen. Daher ist es immer ratsam, bei Hunden mit extremen Verhaltensauffälligkeiten oder plötzlich auftretenden Verhaltensänderungen einen TA aufzusuchen (idealerweise einen, der sich auf Verhaltenstherapie spezialisiert hat).

Im Umkehrschluss jedoch möchte ich betonen, dass die Therapie eines organischen Problems mitnichten sämtliche Verhaltensprobleme löst. Verhalten kann sich sehr schnell etablieren und ist es erst einmal gefestigt, bedarf es Trainings/Erziehung, um den Alltag für alle Beteiligten wieder so angenehm wie möglich zu machen.


 
#2
AW: Rumpy - der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Verhalten

Hallo,
werde nach deinem Bericht:danke: ...mal Olli's Schilddrüsenwerte untersuchen lassen;)...hab ihn mir nun zum 3.mal durchgelesen und komm aus dem Grübeln nicht mehr raus:denken:...das wäre ja was,wenn da entsprechendes bei rauskäme...

LG Birgit
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#3
AW: Rumpy - der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Verhalten

Hallo Birgit,

als damals die Probleme mit Rumpy immer extremer wurden, war ich froh, endlich eine Diagnose zu haben und somit eine Hilfe im Training.
Meine Freundin Beate und ich trafen immer häufiger auf ähnliche Fälle und sahen uns immer öfter mit dem Thema konfrontiert. Da die Informationen zu der Thematik damals noch spärlich waren, entstand ein Infotext, den Du in der aktuellsten Form hier nachlesen kannst (gibt noch etwas ausführlichere Informationen):
http://www.problemhundeforum.de/include.php?path=forum/showthread.php&threadid=6

Weitere Infos findest Du in der Gesundheitssparte des Forums www.yorkie-rg.net, wo Du bei Bedarf auch gezieltere Hilfestellung bekommen kannst, sollte sich der Verdacht bewahrheiten.
 
Oben