Trainingstagebuch "Schissbuxknuddelkerlchen"

DanielaJ

Retterin in der Not
#1

Vor einiger Zeit kam in einem Telefonat mit einer Tierschutzbekannten das Gespräch auf einen Rüden, der zu der Zeit in einem Tierheim in unserer Ecke sass und etwas zu „versauern“ drohnte. Nicht, weil man sich ihm nicht widmen wollte, nein.
Sondern weil er sich nicht anleinen lassen wollte bzw. Menschenkontakt gezielt aus dem Weg ging.
Anfassen? Anleinen? „Hey, guck mal, tolle Reisszähne, oder??“

Ich wurde gefragt, ob ich ihn mir mal anschauen könnte. Es stand die Überlegung im Raum, dass er entweder erst einmal dauerhaft zu uns in PS geht oder aber, sofern sein Training dann so weit fortgeschritten sein wird, dass er sich problemlos anleinen lässt, auf eine private PS gehen könnte.
Anschauung ergab: yoah….. dauert ein wenig, ne? Er liess mich zwar an sich ran, ich durfte ihn auch kurz berühren, aber anleinen? Näherer Kontakt? Ääääh…. Nee.

Nun pressierte es vor wenigen Tagen, da die mit dabei sitzende Hündin im Tierheim eine ES-Option hatte, man die zwei aber nicht einfach so trennen wollte, da sie bisher immer sein Rückhalt war.

End vom Lied: der Bub sollte zu uns.
Tja….. und wie so oft….. es läuft immer ganz anders als geplant.
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#2
Montag, 18.11.:

Ziel war, dass er leicht sediert wird, damit man ihn problemlos in eine Transportbox setzen und dabei eine Hilfsleine am Halsband befestigen könnte.
Wie gesagt, das war das Ziel. Der Herr beschloss dann aber kurzerhand, einfach nicht auf die Sedierung anzusprechen. Müdigkeit? LMAA-Einstellung? Wat’n dat??
Nee….

Nach ca. 1,5h Wartezeit und einer dann doch nicht gerade geringen Überdosierung der Medikamente einigten wir uns kurzerhand darauf, dass man eine Transportbox in den Zwinger stellen und es einfach Sonntags nochmals probieren wolle.

Nach ca. 15 Minuten auf dem Rückweg dann der Anruf: „Wir haben ihn in der Box. Allerdings halt ohne Leine.“

Also kehrt gemacht, zurück ins TH, Box ins Auto geladen (jawoll, da passt wat ein in meinen Corsa!!) und zurück nach Hause.

Dort wurde der Bub dann samt Box erst einmal zu seinen neuen Mädels ins Zimmer gesetzt: Samantha und Mia, unsere Problemfallknacker und Temperamentstester (na, irgendwie müssen sich die zwei ja auch ihr Futter verdienen, oder??).

Gespannt öffneten wir die Tür… und….. nix. Die Nasenflügel bewegten sich. Ansonsten war nix von dem Neuzugang zu sehen.

Also kurzerhand das Oberteil entfernt, was leider nicht ohne Klappern und Rattern geschah. Mit dem Ziel, dass er rausschoss und ins nächste Körbchen reinduckte – neben Mia, die just in dem Moment den gleichen Gedanken hatte….
Man guckte sich an „Ach, Du auch Schissbux? Ok, na dann…“ und verstand sich prächtig. ;-)

Grobmotorikerin „Wat is’n Individualdistanz?“ Samantha wurde noch kurz verunsichert „angelacht“, dann aber auch akzeptiert. Wir wurden jedoch mit großen Augen betrachtet…..

Nach und nach entspannte er sich etwas: Stress und Kampf gegen Sedierung sei dank, hatten wir ihn dann auch abends so weit, dass er Berührungen annahm und Claus erlaubte, ihm eine provisorische Leine dranzumachen: Kettenwürger ans Halsband (sollte er die Leine durchbeissen, kommt man mit der Länge in etwa gut an ihn ran), am runterbaumelnden Ende einen Karabiner und daran wiederum eine lange Leine.
Alles paletti.

Und er schlief diese Nacht definitiv SEHR tief…..
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#3
Dienstag, 19.11.:

Man in Begleitung seiner Damen ging er, nachdem er an dem Morgen erstaunlich ruhig war, zu einem ersten größeren Aufenthalt mit raus in einen Auslauf.





Alles liess sich sehr entspannt an. Er schnuffelte interessiert, guckte sich die Gegend an.
Ich hatte gerade den Auslauf für eine Trainingsstunde verlassen, als Claus schon rief und winkte: „Zurück!“

Tja…… der Supergau……

Mr. „Rühr mich nicht an!“ hatte eine einmalige Glanzleistung vollbracht, die wir so noch nie erlebt hatten: er hatte sich den Karabinerhaken, der Kette und Leine verband, in die Pfote getreten. Und vor lauter Panik natürlich gleich erst mal die Leine durchgebissen.

Sch….. Panikbeisser mit Aua im Freilauf. Juchhee…..

Es dauerte ca. 1 Stunde, bis ich ihn mit viel Fleischwurst und sanftem Druck dazu gebracht hatte, freiwillig in eine herbeigeholte Transportbox zu gehen, nachdem der Versuch, ihn vorsichtig zurückzuführen oder auch den Karabiner an Ort und Stelle rauszuholen, verweigert wurde.

Nachdem er in der Kiste war, ging es dann schnell: TÄ herbeigerufen, ihn kurz für eine leichte Narkose zwangsfixiert (unsere TÄ hat in der Tat gute Reaktionen – leider auch, wie sie dann erst gestand, etwas Rappel vor Hunden…..).
Narkotisiert und mit einem Maulkorb versehen wurde dann das Corpus Delicti entfernt und die Wunde versorgt.





Anstelle der bisherigen Behelfsleine wurde nun auch eine lange Kette am Halsband als Leine befestigt, um derartige Probleme künftig definitiv zu vermeiden.

Er durfte in Ruhe seinen „Rausch“ ausschlafen und schien uns das ganze zum Glück nichts sonderlich krumm zu nehmen: unsere Nähe liess er nach wie vor zu, auch wenn abends „angefasst werden“ nicht wirklich auf der Liste seiner Lieblingshobbys stand.
Was aber auch vollkommen ok war. ;-)
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#4
Mittwoch, 10.11.:

Nach dem gestrigen Supergau sind wir erst einmal vom schlimmsten ausgegangen. Aber siehe da: nach einem kurzen Rückschritt am frühen Morgen, was zu einer Gabe eines homöopathischen Angstmittelchens führte, taute er im Laufe des Tages eifrig auf. Wir waren ihm zwar nach wie vor nicht geheuer und Anfassen keine Option, aber so unaufällig von hinten schnuffeln…. Das ging. J

Auch lernte er den Clicker kennen und begriff sehr schnell, dass Blickkontakte sehr lecker sein können.
Es stellte sich heraus, dass er sehr lernbegierig war und auch recht schnell Neues begriff.
Ein Fortschritt…. J
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#5
Donnerstag, 11.11.:


Nach wie vor zögerlich, hatte man doch langsam das Gefühl, dass der Bub beginnt, sich an die Abläufe bei uns zu gewöhnen. Er hatte gelernt, dass es nicht mehr nötig ist, im Schumi-Stil bei Engpässen an einem Zweibeiner vorbeizuschiessen, sondern dass sich ruhiges Warten ab und zu direkt lohnen könnte. Der Gang nach draußen und wieder rein wurde seitdem wesentlich ruhiger.

Auch lernte er die Geräusche unserer Waschmaschine kennen, klappernde Näpfe in der Futterküche……. Und zeigte sich erstaunlich cool.

Anfassen? Uahhhh…….. ok, aber nur, wenn es sein muss….. und nur hinten…. Ok, das reicht!
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#6
Freitag, 12.11.:

Ich würde mal sagen, wenn ein Hund sein Hinterteil bei vor seiner Nase spielenden Artgenossen um ca. 45 Grad verdreht und dabei ein wenig seitlich hüpft, könnte man das direkt als erste Spielversuche werten, oder? :-D
Genau das hat er heute tatsächlich geschafft, der Bub. Wildes „Mädelcatchen“ vor seinen Augen sein Dank. Ein Hoch auf Beagle-Dame Lilly und Samantha, alias „Graziles Duo? Net mit uns!“. ;-)

Auch hielt er sich zunehmend in unserer direkten Nähe auf, anstatt die volle Hoffläche auszunutzen. Und hey…. So unauffällig von hinten an der Jackentasche schnuffeln….. Kinderspiel….. :-D

Eindrücke von heute:





 
#8
ach Danila, ich liebe solche Fortschritte! Toll toll toll! Was muß das Kerlchen Schlimmes erlebt haben um anfänglich soo zu reagieren?! Daß er wieder Vertrauen faßt ist wunderbar! S4 für dich:love: hab gerade keine Schokolade:D
 
L

lunapolli

Guest
#9
Is datt ein hübsches Kerlchen.
Und so wie´s aussieht kriegt ihr das schon hin. Hier werden alle Daumen und Pfoten gedrückt.

Danke, dass ihr soviel Geduld mit ihm habt.
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#10
Mein Mann hat mir vorhin erzählt, dass die Beagle-Spiel-Therapie Früchte trägt: der Bub hat vorhin zum ersten Mal bei uns mit dem Schwanz gewedelt. Und Vorderkörpertiefstellung beherrscht er nun auch..... :D

Margit, ich denke nicht, dass er konkret was Schlimmes erlebt hat. Er wurde samt Schwester mit ca. einem halben Jahr aus einem großen Rudel rausgefangen. Kontakt mit Menschen bis dahin: kaum.
Er kam ins TH, sie auf eine private PS. Und da er dort einer unter vielen war und man ihn wahrscheinlich oftmals gutmeinend einfach nur zu sehr bedrängt hat (Anleinen, Händeln, Streicheln?), könnte ich mir vorstellen, dass es bei ihm eben zu dieser Endreaktion geführt hat. "Mir reicht es jetzt, weg von mir! Oh.....das funktioniert ja.... ok, dann zeig ich jetzt immer die Zähne!"
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#12
Samstag, 13.11.:

Die drei Tage Schonfrist für die Pfote waren vorbei und somit kam er heute dann endlich in den Genuß, mal im Auslauf toben zu können.
Jawoll. Toben. Wie es sich für einen 1,5 Jahre alten Buben gehört. ;-)
Zugegeben, es hat Samantha erst etwas Überredungskunst gekostet. Aber darin hat die Madame ja eindeutig Erfahrung.....







Und somit bekamen wir am Ende einen erst sehr entspannt dreinschauenden Knaben.....



Der dann auch noch das erste Mal über das ganze Gesicht lachte.



Weiterer Fortschritt des Tages: eine Bekannte, die kurz vorbeikam, wurde durch den Zaun vorsichtig beschnüffelt. Zwar mit Giraffenhals und immer auf dem Sprung. Aber er kam tatsächlich gaaaaaanz dicht ran. Für seine Verhältnisse. ;-)
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#16
So, ich fass einfach mal zusammen, ist einfacher.... :)

Wie so oft bei Schissbuxen gibt es immer mal wieder Schritte nach vorne und ab und zu einige zurück.

Er hat inzwischen aber definitiv das Spiel für sich entdeckt.
Ok, manchmal bedarf es eindeutig noch etwas Überredung zu seinem Glück, aber immerhin... ;-)
http://www.youtube.com/user/hpblaumuehle#p/a/u/0/ifEwTS3jU3I

Bei Zweibeinern ist er immer wieder hin- und hergerissen zwischen Neugier und Vorsicht, was auch hier sehr gut zu sehen ist....
http://www.youtube.com/user/hpblaumuehle#p/a/u/1/ueqZtbhqT34

Er lässt sich mittlerweile anfassen und streicheln, solange er ruhig in seinem Körbchen liegt - aber auch nur dann. Und bitte nicht im Bereich Hals bzw. Kopf. Da spannt er noch sichtlich an.

Wir haben nun, nachdem er sich ein- und an uns gewöhnt hat, auch die ersten kurzen Spaziergänge hinter uns. So langsam traut er sich auch mal, ein paar Schritte vor einem zu laufen, zu schnüffeln und zu schauen, was es so gibt, von sich aus mal Blickkontakt aufzunehmen, anstatt wie zu anfangs einfach hinter einem herzudackeln in der Hoffnung, man würde ihn nicht beachten.thup

Alles in allem ist es mit ihm superinteressant zu arbeiten: es geht oftmals um eine Änderung in der Körperhaltung um wenige Zentimeter, um ihn dazu zu ermuntern, sich anzunähern - oder aber auch nicht. Dabei ist es für ihn auch nicht so wichtig, ob man sich langsam oder zügig bewegt - er reagiert tatsächlich am ehesten auf ihm direkt zugewandte Körperhaltung oder Kopfhaltung mit Rückzug. Es macht unglaublich Spass, rein körpersprachlich mit ihm zu kommunizieren... :)

Der Rükfall der Woche: er meinte einmal, im Körbchen liegend, Claus anknurren und anfletschen zu müssen.
Claus legte seinen Arm auf seine Korbrand, total beiläufig. *knurr* (Samantha hob irritiert den Kopf - wer knurrt????)

Claus liess seinen Arm liegen und bewegte leicht die Finger... *knurr*....*FLETSCH*

Einsatz Samantha:
"EY, DU HASSE WOHL NIMMA ALLE, ALDER! HIER WIRD NET GEKNURRT UND SCHON GAR NET GEFLETSCHT UND AUF KEINEN FALL GEGEN DIE ZWEIBEINER!!!"
Er konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie ihn zurechtwies. :D

Keine Probleme mehr hinterher...... ;-)
 

lucky

Bahnhofsvorsteherin
#18
Das heisst, Samantha ist ein wichtiger Bestandteil Deines Therapieprogramms geworden, Ja? Sozusagen, Co-Therapeut :D:D

Sach mal, hat der kleine Fotobegeisterte schwarze Hund Chushing?
 

DanielaJ

Retterin in der Not
#19
Samantha ist generell Testdummy für zu "therapierende" Hunde, Mia genauso. Wobei Samantha bei "Aggro"-Kandidaten genial ist, weil sie eben auch bei derartigem Verhalten gegenüber Zweibeinern abblockt. Quasi die Polizisten mit dem klaren Regelkatalog "darste - DARFSTE NET!"
Mia ist eher diejenige, mit der sie sich alle anfreunden, weil die ja sooo lieb ist - und die ihnen dann auf die sanfte Tour Manieren beibringt, oder manchmal dann eben auch net mehr so sanft.... ;-)

Edit: wieso Cushing? Wegen dem einen Foto, wo er aussieht, als hätte er ein Blähbauch? Hat er nicht. Nur eine seltsame Brustfärbung, die seine tiefe Brust betont.
 
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