Atypische Weidemyopathie

T

tierhilfe-seesen

Guest
#1
Nachdem nun unser kleiner Schatz "Enes" an der atypischen Weidemyopathie verstorben ist, möchte ich den dramatischen
Krankheitsverlauf schildern.
Ich hoffe so vielleicht Pferdehalter helfen zu können, deren Pferde erkrankt sind und der Verdacht einer Kolik besteht.
Es könnte leider auch eine atypische Weidemyopathie sein.


Wichtig ist rechtzeitiges Erkennen und schnelles Handeln, da die Erkrankung häufig mit einer Kolik verwechselt wird und
zudem einen rasanten Verlauf nimmt. In der Regel überleben Pferde die ersten 72 Stunden nicht, selbst unter tierärztlicher
Behandlung liegt die Mortalitätsrate bei über 90 Prozent. Da die atypische Weidemyopathie überwiegend in den Herbstmonaten
auftritt, besonders an Tagen die noch sonnig-warm und die Nächte bereits frostig sind, sollten "Koliken" in dieser Jahreszeit
äußerst skeptisch betrachtet werden.

Enes bekam noch am Vormittag sein Fohlenmüsli. Er fraß genüßlich und zeigte keinerlei Krankheitsanzeichen. Gegen Mittag
wirkte er bereits leicht apathisch und sein Gang aus der Hinterhand schien steif und ungelenk. Zunächst untersuchte ich die
Gliedmaßen um eine Verletzung auszuschließen. Von Minute zu Minute wurden seine Bewegungen ataxisch und er lies sich
nicht mehr von der Stelle bewegen. Er bekam starke Schweißausbrüche, die auf immense Schmerzen hindeuteten. Diese traten
jedoch nicht durchgehend auf, sondern in zunächst größeren, dann immer kürzer werdenden Abständen. Seine Gliedmaßen
hingegen waren kühl. Die umgehend hinzugezogene Tierärztin stellte eine Untertemperatur fest mit Verdacht auf Kolik.
Der Bauch war aufgebläht, der noch abgesetzte Kot fester als normal. Er bekam entkrampfende und schmerzstillende Mittel injiziert.

Die Wirkung der Medikamente blieb jedoch aus, so dass er begann sich niederzulegen und zu wälzen. Im Liegen streckte er die
Beine weit von sich. Mehrmals konnte er wieder aufgerichtet werden, doch nach dem dritten Mal war er total erschöpft und krampfte.
Die wiederum erschienene Tierärztin führte eine Nasen-Schlund-Sonde ein, immer noch im Glauben, es handele sich um eine Kolik.
Als sämtliche Maßnahmen keinen Erfolg zeigten wurde Enes sofort in die Klinik transportiert.
In einem kurzen Telefonat schilderte ich ihr noch eine Beobachtung, die ich beim Urinabsatz bemerkt hatte. Sein Urin war stark
rötlich-braun gefärbt. Dies war ein sehr wichtiger Hinweis, denn bei der atypischen Weidemyopathie wird Muskelfarbstoff über
den Urin ausgeschieden und somit konnte die Erkrankung unter Hinzuziehung weiterer Untersuchungen diagnostiziert werden.
Zusätzlich wurde noch ein Magengeschwür entdeckt, was häufig bei Pferden mit einer atypischen Weidemyopathie vorkommt.

In der Klinik konnte er zunächst etwas stabilisiert werden, doch als er sich festgelegen hatte, also nicht mehr aufstehen konnte,
ging es rapide bergab. Trotz Infusionen, Medikamente und Wärme in Form von Decken und Rotlicht konnte die Krankheit nicht
mehr aufgehalten werden. Zwei Tage später wurde seine Atmung immer schwerer und erfolgte nur noch stoßweise.
Die Lungenmuskulatur war schwer angegriffen und letztendlich setzte seine Atmung aus. Er hatte den Kampf verloren.

Da die atypische Weidemyopathie direkt das Muskelgewebe angreift und zerstört, sind die Überlebenschance ohnehin sehr gering
und selbst bei einer Genesung können schwere Muskelschäden zurückbleiben. Besonders betroffen sind Muskulatur der inneren
Organe, wie z.B. Herz und Lunge, aber auch des Bewegungsapparates. Somit ist eine "Rettung" eines erkrankten Tieres nicht
immer das Happyend. Es kann durchaus sein, dass man ein solches Pferd trotz Überlebens euthanasieren muss, wenn die Schäden
zu weit fortgeschritten sind und kein lebenswertes Leben mehr möglich ist.

Die Ursache dieser Krankheit ist bis heute noch nicht genau erforscht. Es liegt die Vermutung nahe, dass sich Bakterien oder Pilze
im Herbst auf den Weiden bei entsprechender Witterung bilden, besonders auf Weiden mit Laubbaumbestand, denn bei reiner Boxenhaltung
tritt sie nicht auf.
Naheliegend ist ein Baktierienstamm der Clostridien, da sich bei verendeten Pferden ein hoher Antikörperanteil nachweisen lies.
Ein Stamm der Clostridien ist übrigens auch für Tetanus und ein anderer für Botulismus verantwortlich.
 

geronimo

Männerbeauftragter
#2
Das ist eine schreckliche Erkrankung, besonders im Hinblick auf die Heilungschanchen.
Ich hab eine ähnliche Erkrankung auch bei Menschen erlebt, die jedoch ein grosses Weichteiltrauma erlitten hatten. Ich kenne nur wenige, die wieder vollständig gesundet sind.
So hart es sich anhört, vielleicht ist es besser so, dass der kleine Mann, bei dieser Diagnose, über die Regenbrücke gegangen ist.

Dirk
 

Finja

Toblerönchen
#4
Das ist eine schreckliche Erkrankung, besonders im Hinblick auf die Heilungschanchen.
Ich hab eine ähnliche Erkrankung auch bei Menschen erlebt, die jedoch ein grosses Weichteiltrauma erlitten hatten. Ich kenne nur wenige, die wieder vollständig gesundet sind.
So hart es sich anhört, vielleicht ist es besser so, dass der kleine Mann, bei dieser Diagnose, über die Regenbrücke gegangen ist.

Dirk
Schon als Enes krank wurde dachte ich an die Rhabdomyolyse beim Menschen:(
Armer kleiner Mann...warum muss es nur solche Sachen gebenS2
 
T

tierhilfe-seesen

Guest
#5
Tja, Dirk, da magst du vielleicht recht haben.
Aber man sieht es ja leider erst hinterher und
dann wird es wahrscheinlich noch schwerer
loszulassen, wenn man sein Pferd gerettet hat,
weil immer noch die große Hoffnung lebt.

Ich lasse jetzt jedenfalls die Laubbäume auf
der Weide fällen - stehen noch genügend Tannen.
 

geronimo

Männerbeauftragter
#6
Silvi, das war doch kein Vorwurf. Nee, Nee.
Ich find es Sch..., dass es solche Erkrankungen gibt.
Meine vollste Überzeugung ist, dass du Alles richtig gemacht hast und das hätte ich auch getan.
Nur hat man manchmal so unglückliche Verstrickungen, dass man hinterher immer schlauer ist.
Hätte ich damals bei meiner Hündin die Zeichen eines Schlaganfalls früher erkannt, hätte sie vielleicht noch ein paar Jahre leben können.

Dirk
 
T

tierhilfe-seesen

Guest
#7
Nein, das habe ich auch nicht als Vorwurf aufgefasst.
Es ist halt leider so, dass man einfach nicht alles
einkalkulieren kann und vieles einfach noch zu
unbekannt und unerforscht ist.
Viele, das habe ich jetzt ganz deutlich festgestellt,
haben von dieser Krankheit noch nie etwas gehört.
Selbst Pferdezüchter und langjährige Pferdehalter
waren total erschrocken darüber.
Ist schon Mist, was es so alles gibt... :(
 

sumse

Active Member
#8
Silvi, ich wusste auch nicht, dass es solche Erkrankungen gibt.
Aber letztens habe ich noch zu Michie gesagt, dass man bei jedem Tier und jeder Erkrankung dazulernt.
Ich schließe mich Dirk an, ich glaube auch, dass es für Enes besser war. Wer weiß, wie er sonst für den Rest seines Lebens gelitten hätte. Auch wenn man den Sinn des WARUM nicht versteht, es gibt für alles einen Sinn. Manchmal versteht man diesen SINN erst nach Jahren oder Jahrzehnten.
 
M

Michie

Guest
#9
Danke für den Bericht Silvi!

Als du von Enes Diagnose berichtet hast, hatte ich die Krankheit gegoogelt.

Was ich da gelesen habe, hörte sich schrecklich an. Die Folgeschäden,
die hätten bleiben können, hätte ich Enes nicht gewünscht S2.

Deshalb sehe ich es auch so, dass es besser für ihn war, dass er gegangen ist. Das ändert aber nichts daran, dass ich es sehr traurig und unbegreiflich fand :(.

Ich hoffe, dass weiter geforscht wird und bei dieser Erkrankung besser geholfen bzw. bessere Schutzmaßnahmen ergriffen werden können.

Wenn Enes zu Emmi gehen sollte, wäre er gegangen. Dann wäre vielleicht etwas anderes passiert. Es ist eigentlich schade, dass wir
Menschen den Einblick in diese Dinge nicht haben. Denn oftmals machen
wir uns Vorwürfe oder die Fragen nach dem Warum quälen uns.
 
A

ANGEL

Guest
#10
Hallo Sylvi,

mit erschrecken googelte ich auch sofort noch dieser Krankheit. Und es ist einfach schrecklich wie wenig Einfluß wir Halter auf so vieles haben.
So wie ich das gelesen habe, können aber auch die anderen Pferde betroffen sein. Und zum Glück haben Bonny und Shaki es nicht auch noch bekommen. (ich versuche gerade nur n bißchen was Positives zu finden.....aber so ist es...)

Danke für deinen Bericht. Ich werde diese Krankheit auch bei einer Kolik gleich im Hinterkopf haben. Toitoitoi, Rusty hatte bisher nicht einmal das, aber ich habe ihn leider auch nicht bei mir am Haus, es wär ohnehin eine Katastrophe.

Ich komme gerade von einem Vortag über infektionskrankheiten beim Pferd.....und komm aus m grübeln nicht mehr raus.....

Nun habe ich in der Regenbogenbrücke und in deinem Thread nicht mehr viel geschrieben und gelesen, da ich sofort wieder geheult hätte. Ich sag jetzt nur mal: schön, daß du für die beiden da warst. Und danke für deinen Bericht!
 

Susi

Well-Known Member
#11
Nun habe ich in der Regenbogenbrücke und in deinem Thread nicht mehr viel geschrieben und gelesen, da ich sofort wieder geheult hätte. Ich sag jetzt nur mal: schön, daß du für die beiden da warst. Und danke für deinen Bericht!
Mel, das hast du sehr schön geschrieben, dem kann ich mich nur anschließen!

Ich kann bis heute nicht die Threads lesen, es mag für manchen blöd klingen, aber ich wehre mich innerlich gegen das Lesen, es tut soooo weh:traurig:!

Silvi, ich :knuddel:dich!
 
T

tierhilfe-seesen

Guest
#12
Ich halte es für sehr, sehr wichtig, dass man seine
Erfahrungen wiedergibt und austauscht.
Auch wenn es für mich eine sehr negative Erfahrung war,
auch immer noch sehr schmerzlich, wenn ich an alles denke,
doch anderseits können andere davon provotieren.
Enes konnte nicht mehr geholfen werden, aber vielleicht
irgendwann einem anderen Pferd.
Ich kann immer nur raten: Lesen, lesen und noch mal lesen.
Und ein klein bißchen davon im Hinterkopf behalten.
 
#15
ronny hatte abends was, das ich für eine kolik hielt. natürlich kam der TA und führte die übliche krampflösende behandlung durch. ich ging dann noch lange mit ronny spazieren - er erschien mir nicht ganz "normal", aber er setzte kot ab, und ich dachte, die "kolik" sei überstanden. auffallend war, dass er sehr steif lief, der TA hatte aber einen kreuzschlag ausgeschlossen. am morgen fütterte und mistete ich wie üblich, ronny frass normal, soweit ich sehen konnte. danach musste ich arbeiten; ich hatte noch meine praxis im gleichen haus, und wenn irgendwas mit den pferden war, hörte ich das immer. ich hatte an diesem morgen ein kind nach dem anderen, schaute aber am vormittag mal kurz in den stall. ich sah ronny ruhig dort stehen und dachte, ok, die kolik ist vorbei...als ich am mittag zum füttern wieder runter ging, lag er tot dort :weinen:
ich habe bisher noch kaum darüber gesprochen, weil ich mir riesige vorwürfe machte...aber ich hielt es ja für eine kolik, und die schien mir vorbei. mein bauchgefühl sagte damals allerdings was anderes, ich spürte, dass etwas nicht stimmte, und ich werfe mir noch heute vor, dass ich nicht gleich darauf reagiert habe :weinen:
 
M

Michie

Guest
#16
:traurig3:

Bettina, lass dich mal :knuddel:!

Solche Erfahrungen sind schrecklich und ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst. Es ist gut, dass du jetzt hier darüber geschrieben hast. Sowas kann einem wie ein Stein auf der Seele liegen, vor allem, wenn man sich selbst
die Schuld gibt.

Du hast doch getan, was du konntest. Keiner kann dir sagen, was passiert wäre, wenn eine andere Therapie eingeleitet worden wäre.

Es hört sich für mich zumindest so an, als ob Ronny sich nicht lange quälen musste. Das ist vielleicht nur ein schwacher Trost...
 
#17
danke!
ich dachte, sein herz hätte einfach versagt, oder er hätte einen hirnschlag gehabt. aber er war erst 13 jahre alt (für ein new forest pony ist das jung!), war nie krank gewesen und gut trainiert...aber jetzt, wo ich über die symptome der atypischen weidemyopathie gelesen habe, fallen mir mehr und mehr übereinstimmungen auf :(
 
M

Michie

Guest
#18
Vielleicht war es ja auch ein Herz- oder Hirnschlag, auf diese Frage kann dir
keiner mehr eine Antwort geben.
Vielleicht war es auch die atypische Weidemyopathie... Ändern kannst du
es jetzt nicht mehr, leider. Wenn du aber jemals wieder ein Pferd haben
solltest, weißt du gleich Bescheid.
An deiner Stelle würde ich mir jetzt auch viele Gedanken machen, ich
kann das gut verstehen.

Ich habe mir im letzten halben Jahr so viele Gedanken wegen Speedy gemacht und mir Vorwürfe gemacht und überlegt, was ich hätte anders machen können. Sumse hat dann zu mir gesagt, dass er davon auch nicht wiederkommt :(, und sie hat ja leider recht damit. Ich habe getan, was ich konnte und was ich in der Situation für richtig hielt. Hinterher kann man
immer sagen, hätte ich bloß noch das oder das gemacht...

Ich glaube, wir alle hier im Forum werden jemand, der uns erzählt, sein
Pferd habe eine Kolik gleich auf atypische Weidemyopathie hinweisen.
 
T

tierhilfe-seesen

Guest
#19
Yurisha, gut, dass du darüber geschrieben hast.
Dich trifft absolut keine Schuld, denn letztendlich
sind wir keine Tierärzte und müssen uns auf die
Aussagen verlassen. Und natürlich sind das keine
Götter in weiß.
Die Weidemyopathie ähnelt nun mal sehr stark einer
Kolik und die Zeit rennt einem zu schnell davon.
Enes hat noch gefressen und getrunken bis er zum
Liegen kam. Und geäppelt hatte er auch.
Das machte mich alles sehr stutzig, aber so richtig
kam die Erkenntnis erst mit dem Urin. Das war Zufall.
Wäre ich ich dem Moment nicht gerade dabei gewesen,
hätten wir auch erst viel später gewusst, was es ist.
Doch letztendlich hat es uns auch nicht geholfen.
Wenn Ronny daran erkrankt war, hättest du seinen
Tod wahrscheinlich auch nicht verhindern können.
Das müssen wir leider so hinnehmen.
 
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